Schüler begrüßen Deutsch-Pflicht
Von Anna Reimann
Eine Realschule in Berlin-Wedding verpflichtet Schüler, auch auf dem Pausenhof ausschließlich Deutsch zu sprechen. Türkische Verbände und grüne Politiker laufen Sturm und sprechen von Diskriminierung - die Schüler selbst sehen das aber ganz anders.
Berlin - Asad fühlt sich heute fast wie ein Politiker. Den Rücken hat er durchgedrückt, die Arme vor der Brust verschränkt. Er räuspert sich, fährt kurz mit der Hand über den Mund und sagt: "Wir brauchen die deutsche Sprache. Was sollen wir denn machen? Wir wollen unseren Realschulabschluss, und wenn wir eine Lehrstelle finden oder das Abitur machen wollen, dann müssen wir gut Deutsch sprechen", sagt er zu den Reportern und streicht sich durch die kurzen gegelten Haare.
Asad ist 17, seine Eltern kommen aus Pakistan. Er ist Schülersprecher der Herbert-Hoover-Realschule im Berliner Stadtteil Wedding. Ein Zugpferd sei er, sagt seine Schulleiterin über ihn - nicht nur, was das Deutschsprechen angehe.
Die Herbert-Hoover-Realschule liegt direkt an einer zugigen Hauptstraße im Berliner Problembezirk Wedding. Vor den Toren gibt es viele Dönerbuden, ein türkisches Hochzeitsgeschäft und ein Kaufhaus. In der Seitenstraße ist eine Moschee. Eine türkische Bank lockt im Schaufenster mit niedrigen Zinsen. Neben dem Discounter an der S-Bahn-Station wirbt ein Bäcker mit dem Slogan: "Wir backen, du König!" Die Jugendlichen in Wedding leben zwischen den Welten.
Für 90 Prozent ist Deutsch nicht Muttersprache
Wie Asad sind 90 Prozent der Schüler an der Hoover-Schule keine deutschen Muttersprachler. Zuhause sprechen sie meistens Türkisch, Arabisch, Polnisch, Serbisch. Seit einem Jahr steht in der Schulordnung der Realschule deshalb: "Jeder Schüler ist verpflichtet, sich im Geltungsbereich der Hausordnung nur auf Deutsch zu verständigen." Über diesen Satz haben Eltern und Klassen diskutiert, die Schulkonferenz, in der auch Asad sitzt, hat abgestimmt.
Ein Jahr lang nahm niemand Anstoß an der Regel, am wenigsten die betroffenen Schüler. Seitdem aber das türkische Massenblatt "Hürriyet" letzte Woche über die Schule im Wedding berichtete und der Türkische Bund in Berlin gegen die Vereinbarung protestierte, wird die Schule geradezu von Reportern belagert. Die Kardinalfrage: Werden die Schüler hier diskriminiert, weil sie auf dem Schulhof nicht in ihren Muttersprachen sprechen sollen?
So sieht es zum Beispiel der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg: "Niemand, auch der Schulsenator oder der Schulleiter, darf eine Sprache verbieten", sagte Sprecher Eren Ünsal am Montag. Das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen werde dadurch nicht gefördert, "mit Verboten wird man das Gegenteil erreichen". Auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth betonte, dass Integration sich nicht mit Pausenreglementierungen erzwingen lasse.
Schulsenator Klaus Böger (SPD) stellte sich dagegen hinter die umstrittene Hausordnung und auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse begrüßte den Vorstoß der Realschule, ebenso wie Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Kraus plädierte allerdings in der "Netzeitung" aus juristischen Gründen dafür, die Deutschpflicht von der Zustimmung der Eltern abhängig zu machen. Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudeien, hält die Regelung für richtig: "Wer in Deutschland Karriere machen will, soll in der Schule ausschließlich Deutsch sprechen", sagte er den "Stuttgarter Nachrichten".
Presseansturm in Wedding
Ob auf dem Schulhof Deutsch gesprochen werde, sei auch eine Frage der Höflichkeit, sagt Schulleiterin Jutta Steinkamp: Bei acht bis zehn verschiedenen Muttersprachen pro Klasse bildeten sich schnell geschlossene Grüppchen, Anderssprachige seien da ausgeschlossen. "Natürlich gibt es für die Schüler keine Sanktionen, wenn sie doch einmal Arabisch oder Türkisch in den Pausen sprechen", sagt Steinkamp. Nur wer Mitschüler oder Lehrer im Unterricht aggressiv in einer fremden Sprache beschimpfe, werde bestraft. "Wir wissen ja nicht, worum es da ging, aber Beschimpfungen sind auch auf Deutsch nicht drin", so die Schulleiterin.
Schulleiterin Jutta Steinkamp sitzt in ihrem Zimmer und rauft sich die kurzen grauen Haare. "Das werden wir auch noch überstehen", sagt sie. "Ich kann mir das gar nicht erklären." Die Hausordnung, das sei ja keine Anordnung, sondern nur eine gemeinsame Verpflichtung, ein Appell, den auch die Schüler mittragen. Steinkamp erzählt, dass sie kürzlich einen Anruf vom Berliner Grünen-Politiker Özcan Mutlu bekam, der in der Schulordnung einen Verstoß gegen das Grundgesetz sieht. Sie sei vollkommen konsterniert gewesen, als Mutlu am Telefon lediglich gesagt habe: "Sie haben jetzt Gelegenheit, sich zu äußern." Seitdem wartet sie darauf, dass sein Sekretariat einen Termin mit ihr ausmacht.
Mutlu, 38, kam als Fünfjähriger aus der Türkei nach Berlin und beschrieb vor gut einem Jahr im "Tagesspiegel" seine Schulzeit: Bis zur vierten Klasse befand er sich ausschließlich unter türkischen Kindern und hatte kaum Kontakt zu deutschen Schülern. Danach hatte seine neue Klasse in Kreuzberg 27 Schüler aus zwölf Nationen. "Unsere gemeinsame Sprache war Deutsch", aber mangels ausreichender Sprachkenntnisse habe er "viel Unterrichtsstoff verpasst". Später schaffte Mutlu das Elektrotechnik-Studium und wurde Ingenieur.
Problematisch sind seiner Ansicht nach monolinguale Ausländerklassen und eine einsprachige Umgebung. Wenn eine Sprache dominiere, zögen sich "die Kinder in ihre ethnischen Nischen zurück". Eine Deutschpflicht im Unterricht sei in Ordnung, meint Öczan Mutlu - aber auf dem Pausenhof gehe das einfach zu weit.
Die ganze Aufregung können die Schüler in Wedding nicht verstehen. Samir aus Bosnien, der die Schule ansonsten "echt scheiße und wie ein Gefängnis" findet, hält die Regelung für gut. "Es sprechen alle verschiedene Sprachen. Wir müssen uns ja irgendwie verstehen. Ich kapier halt nicht, was geredet wird, wenn die Arabisch sprechen."
"In Türkisch bin ich noch schlechter"
Im Gang vor dem Pausenhof stehen Denise und Jennifer aus der Klasse 10a. Um Denise' Hals baumelt ein goldenes Playboy-Bunny, Jennifer hat die Augen dunkel umrandet. Beide haben deutsche Eltern. Jennifer sagt: "Wenn mehr Deutsch gesprochen wird, wächst auch das Niveau an der Schule. Die Lehrer bekommen durch die Regelung in der Hausordnung einen besseren Überblick darüber, wie es hier tatsächlich aussieht mit den Deutsch-Kenntnissen." Sie findet, dass sich alle ein bisschen anpassen müssten.
Das sagt auch Shoa. Sie ist Palästinenserin. Zusammen mit ein paar Freundinnen steht sie in der Kälte auf dem Pausenhof. Heimlich schieben sich die Mädchen Fotos zu. "Klar spreche ich manchmal Arabisch, aber wenn wir hier zusammen stehen, dann sprechen wir Deutsch. Die anderen fühlen sich ja sonst ausgegrenzt", sagt die 15-Jährige.
Zeynep kommt vorbei. Sie ist groß, dünn und braungebrannt. In der Hand hat sie einen zerknitterten Zeitungsbericht über die Miss-Berlin-Wahlen. "Ein Foto von mir", sagt sie stolz. Zeynep war Vize-Miss, wurde aber jetzt disqualifiziert, weil sie erst 15 ist. Jetzt flüstert Shoa ihrer Freundin aber doch kurz etwas auf Arabisch zu, denn das soll Zeynep wohl nicht verstehen.
"Wenn wir ehrlich sind, sind wir alle nicht gut in Deutsch", sagt Halime, die mit im Team der Schulsprecher ist. In ihrer Klasse gibt es keinen Schüler, dessen Eltern Deutsche sind. "Aber in Türkisch bin ich noch viel schlechter", sagt Halime.
Wäre es nur ein einziger Satz in der Schulordnung, würde er bei den Schülern nicht viel ändern. Aber mit der Schulordnung sei es wie mit der Regel, nur bei Grün über die Ampel zu gehen, sagt Jutta Heidkamp. Viele wüssten, dass sie ihre eigene Zukunft gefährden, wenn sie nicht richtig Deutsch können. "Und sprechen geht nur durch Übung. Die Kinder haben sonst keine andere Möglichkeit, Deutsch zu sprechen."
Denn "zu Hause - das ist türkisch pur", sagt Halime.
Quelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/schule/0,1518,396842,00.html
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